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Pudendusneuralgie
Von Mareike Müller, Ärztin – März 2022
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Die Pudendusneuralgie (Alcock-Syndrom, Pudendusneuropathie) ist eine seltene Nervenerkrankung, die mit blitzartigen Schmerzen im Bereich zwischen Genital und After einhergeht. Sie tritt bei Frauen etwa doppelt so häufig auf wie bei Männern. Es sind auch Störungen der Sexualfunktion sowie Harn- und Stuhlinkontinenz möglich. Lesen Sie hier mehr über die Pudendusneuralgie.
Kurzübersicht
- Behandlung: Schmerzmittel, Antidepressiva, Antikonvulsiva; Nervenstimulation, Physiotherapie und Übungen, Operation zur Entlastung des Schamnervs
- Symptome: Heftige plötzlich Schmerzen im Genital- und Dammbereich, die im Sitzen zu, im Stehen abnehmen und im Liegen verschwinden; Harn- und Stuhlinkontinenz möglich, selten Störung der Sexualfunktion
- Ursachen und Risikofaktoren: Mechanische Druckschädigung des Schamnervs etwa durch Sport, Operation, Verletzungen, Gefäßerkrankungen; seltener Nervenschädigung durch Tumor, Zuckerkrankheit oder Gürtelrose
- Diagnose: Krankengeschichte, körperliche Untersuchung, Druck auf Damm, Scheide oder Mastdarm löst Schmerz aus, Magnetresonanztomografie, Nervenleitgeschwindigkeit, „Pudendusblock“ (lokale Betäubung des Nervs)
- Prognose: Abhängig von der Ursache der Erkrankung; für die entlastende Operation gibt es studienbestätigte Heilerfolge
Was ist eine Pudendusneuralgie?
Die Pudendusneuralgie, manchmal auch Pudendus-Neuralgie geschrieben, ist eine seltene chronische Schmerzerkrankung im Bereich des Damms. Das ist der Bereich zwischen dem After und dem weiblichen oder männlichen Genital. Synonyme Bezeichnungen der Krankheit sind Pundendusneuropathie oder auch Alcock-Syndrom.
Neuropathisch bedeutet, dass es sich um eine Erkrankung eines Nerven handelt. Betroffen ist dabei der namensgebende Nervus pudendus, der Schamnerv (pudor ist Latein für „die Scham“). Er gehört zum peripheren Nervensystem, verästelt sich in den Bereich des Afters und der äußeren Genitalien. Dort ist er für Schmerz- und Sinneseindrücke sowie für die Steuerung einiger Muskeln zuständig.
In einigen Fällen bezeichnen Ärzte auch unklare chronische Schmerzen im Becken oder Genitalbereich als Pudendusneuralgie. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer. Im Schnitt erhalten vier von hundert Patienten, die wegen Schmerzen zum Arzt gehen, als Diagnose eine Pudendusneuralgie – die genaue Verbreitung in der Bevölkerung ist allerdings nicht genau bekannt.
Kurzer Ausflug in die Anatomie
Der Nervus pudendus (Schamnerv) ist zuständig für die sensible Wahrnehmung von After, Damm und Hoden beziehungsweise der Schamlippen. Als Damm bezeichnen Mediziner die Region zwischen After und Hodensack beziehungsweise der Scheide. Außerdem versorgt der Schamnerv die Muskulatur des Beckenbodens und den äußeren Afterschließmuskel. Damit ist er wichtig für die Kontrolle von Harn und Stuhl sowie für die Sexualfunktion.
Der Nervus pudendus ist ein Bündel mehrerer Nerven, die aus dem unteren Rückenmark her verlaufen. Er läuft seitlich durch verschiedene Strukturen des Beckens. Im sogenannten Alcock-Kanal zieht er nach vorne und teilt sich dann in verschiedene kleine Äste auf. Der Alcock-Kanal gilt als wichtige Engstelle im Verlauf des Nervus pudendus – ist er dort eingeklemmt, resultiert das unter Umständen in einer Pudendusneuralgie. Alcock-Syndrom ist daher eine andere Bezeichnung der Krankheit.
Was kann man bei einer Pudendusneuralgie tun?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Pudendusneuralgie zu behandeln. Steckt eine Grunderkrankung dahinter, behandeln Mediziner in der Regel zunächst oder ergänzend diese. Das bedeutet, dass man zum Beispiel den Zuckerwert im Blut bei einem Patienten mit Diabetes mellitus richtig einstellt oder einen ursächlichen Tumor im Becken entsprechend therapiert.
Schmerzmittel
Da die Schmerzen bei einer Pudendusneuralgie meist chronisch sind, sprechen übliche Schmerzmitteln (Analgetika) oft nicht an. Dennoch ist es möglich, zu versuchen, akute Schmerzattacken mit einem der folgenden zum Teil rezeptfreien Wirkstoffe zu lindern:
Wenn diese nicht helfen, verschreiben Ärzte oft stärkere Schmerzmittel, etwa Opioide wie Tramadol, Dihydrocodein oder Hydromorphon. Diese sind zum Beispiel als Tabletten, Pflaster oder Zäpfchen erhältlich. Da bei diesen Mitteln Abhängigkeit und unerwünschte Wirkungen möglich sind, beobachtet der Arzt den Verlauf mit Kontrolluntersuchungen.
Bei der langfristigen Behandlung dieser chronischen Nervenschmerzen haben sich auch Antidepressiva oder Antikonvulsiva als wirksam erwiesen.
Antidepressiva (wie Aitriptylin oder Mianserin) und Antikonvulsiva (Krampflöser, Beispiele sind Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin und Lamotrigin) wirken dabei auf der Ebene der Signalweiterleitung in den Nerven, etwa indem sie Nervenbotenstoffe hemmen. Daher lassen sich diese Medikamente nicht nur für die Behandlung von Depressionen und epileptischen Anfällen nutzen, sondern auch zur Blockade der Schmerzweiterleitung.
Oft kombinieren Ärzte verschiedene Schmerzmittel zur Therapie. Meist dauert es eine Weile, bis sich eine Besserung zeigt und bis die für jeden Patienten individuell passende Wirkstoff-Kombination gefunden wird.
Ein regelmäßiges Einspritzen von Betäubungsmitteln in den Bereich des Schamnerves, ein sogenannter Pudendusblock, ist zwar bei der Diagnose wichtig, zur Schmerzlinderung ist der Block aber nur kurzfristig wirksam und als Therapie laut Experten eher nicht geeignet.
TENS, Reizstromtherapie, SPNS
Die sogenannte TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) ist eine Reizstromtherapie. Dabei klebt man Elektroden an den schmerzenden Stellen auf. Die Stromimpulse, die über sie gegeben werden, reizen den Nerven, sind aber für den Patienten nicht schmerzhaft. Sie sollen dazu dienen, die Schmerzweiterleitung ins Gehirn zu verringern.
In einigen Studien haben Mediziner auch die SPNS (die subkutane periphere Nervenstimulation) als Therapie angewendet. Dabei implantieren die Ärzte Elektroden unter der Haut und stimulieren die Nerven. Bei einigen ähnlichen Schmerzsyndromen wie etwa dem Postnukleotomiesyndrom überlagert man so Schmerzimpulse und lindert damit die Symptome.
Die Konzepte von TENS, Reizstromtherapie oder SPNS und ihre spezifische Wirksamkeit sind durch Studien nicht eindeutig belegt.
Weitere Maßnahmen ohne Operation
Oft ergänzend zu Medikamenten helfen manchen Patienten bestimmte physiotherapeutische Übungen, die besonders auf die Entspannung im Bereich des Beckenbodens abzielen. Dazu gibt es besondere Patientenschulungen, außerdem hilft vielen Patienten eine psychologische Begleitung bei der Schmerztherapie.
Alternative Behandlungsformen
Im Bereich der Alternativmedizin gibt es etwa die Osteopathie oder Akupunktur, die manchen Patienten helfen können, die Schmerzen zu lindern. Wissenschaftlich-schulmedizinisch gibt es allerdings bislang keine gesicherten Erkenntnisse über die Wirksamkeit dieser Methoden.
Das gleiche gilt für homöopathische Mittel, die den Schmerz stillen sollen. Eine Wirksamkeit von Homöopathie lässt sich mit wissenschaftlich-schulmedizinischen Mitteln und Methoden bislang nicht zeigen.
Alternativmedizinische Methoden können die schulmedizinische Behandlung allenfalls ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wie Sie selbst die Therapie bestmöglich unterstützen können.
Operative Therapie
Laut Studien ist die beste Therapie der Pudendusneuralgie ein chirurgischer Eingriff, bei dem der Nerv vom Druck entlastet wird oder aus einer Einklemmung befreit. Bei der als Neurolyse bezeichneten Operation wird der Nervus pudendus freigelegt. Auf diese Weise wird jeglicher Druck, der auf ihm lastet (zum Beispiel durch Narbengewebe) genommen. Der Nerv wird entweder von hinten durch die Gesäßmuskulatur (die besterprobte Möglichkeit) freipräpariert oder durch den Damm beziehungsweise durch die Scheide.
Welche Symptome treten auf?
Symptome der Pudendusneuralgie sind heftige Schmerzen im Genital- und Dammbereich. Dabei empfinden Männer die Beschwerden hauptsächlich im Damm und selten im Penis. Frauen beschreiben Beschwerden im Bereich von der unteren äußeren Vagina bis zum After. Meist sind diese einseitig und treten gegebenenfalls wechselseitig auf. Nur selten bestehen die Beschwerden der Pudendusneuralgie gleichzeitig auf beiden Seiten.
Patienten beschreiben die Schmerzen als brennend, stechend, einschießend, dumpf oder drückend. Einige sprechen auch von einem „Gefühl einer Rasierklinge“. In wenigen Fällen erleben die Patienten Missempfindungen (Parästhesien) oder Muskellähmungen. Durch mögliche Taubheitsgefühle sind manchmal das Wasserlassen und der Stuhlgang nicht mehr richtig kontrollierbar. Eine Pudendus-Neuralgie führt damit in einigen Fällen zu einer Harn- und Stuhlinkontinenz. In seltenen Fällen ist die Sexualfunktion gestört.
Die Beschwerden nehmen im Sitzen zu und bessern sich beim Stehen. Im Liegen verschwindet der Schmerz meist ganz. Grund dafür ist die Druckentlastung im kleinen Becken. Der Schlaf der Patienten ist durch die Beschwerden in der Regel nicht gestört.
Ursachen und Risikofaktoren
Mehrere Ursachen für die Pudendusneuralgie sind möglich. Am häufigsten steckt eine mechanische Ursache dahinter. Das bedeutet, dass der Schamnerv während seines Verlaufs durch das Becken durch andere Strukturen gereizt oder eingeengt wird (oft im sogenannten Alcock-Kanal).
Die mechanische Schädigung tritt zum Beispiel bei Druck auf den Damm auf wie etwa beim Fahrradfahren. Auch Operationen, in denen der Patient lange in derselben Position gelagert wird, führen in einigen Fällen zu Druckschädigungen und somit zur Pudendusneuralgie.
Weitere Ursachen für eine Pudendusneuralgie sind etwa:
- Verletzungen des Beckens wie ein Beckenbruch, Schuss- oder Stichverletzungen, Gewalteinwirkung im Bereich des Beckens
- Gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose
- Eine schwer verlaufene Geburt
- Gefäßerkrankungen des Beckens wie Thrombosen oder Krampfadern
- Bindegewebige Verengung des Alcock-Kanals
Seltener sind folgende Erkrankungen, die oft Nerven schädigen, die Ursache für eine Pudendusneuralgie:
- Herpes zoster (Gürtelrose)
- Tumorerkrankungen im Becken
- Diabetes mellitus
Untersuchungen und Diagnose
Sollten Sie Schmerzen im Damm- und Genitalbereich haben, wird Ihr Hausarzt Sie an einen Urologen, Gynäkologen oder Proktologen überweisen. Diese Fachärzte schließen zunächst andere Erkrankungen aus, die oft ähnliche Beschwerden wie eine Pudendusneuralgie hervorrufen. Eine diagnostizierte Pudendusneuralgie wird dann als Nervenkrankheit in der Regel abschließend von einem Neurologen diagnostiziert und behandelt.
Zuerst befragt Ihr Arzt Sie ausführlich zu Ihrer Krankheitsgeschichte (Anamnese).
Dabei stellt er Ihnen unter anderem folgende Fragen:
- Seit wann haben Sie die Beschwerden?
- Sind die Beschwerden auf einer Seite stärker als auf der anderen?
- Wie würden Sie die Schmerzen beschreiben?
- Sind Sie zuckerkrank oder leiden Sie an Gürtelrose?
Dann folgt die körperliche Untersuchung. Typisch für die Pudendusneuralgie ist es, dass Druck in der Scheide, im Mastdarm (Rektum) oder am Damm Schmerzen auslöst.
Mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) macht der Arzt häufig ein Bild des Beckens und des Rückenmarks. Darauf lassen sich in manchen Fällen Strukturen erkennen, die möglicherweise auf den Schamnerv oder das untere Rückenmark drücken wie zum Beispiel Tumoren oder Bandscheibenvorfälle. In den meisten Fällen einer Pudendusneuralgie finden sich aber in der MRT-Aufnahme keine Veränderungen.
Diagnose mittels Pudendusblockade
Häufig diagnostizieren die Ärzte eine Pudendus-Neuralgie durch einen Therapieversuch. Dabei spritzt der Arzt dreimal unter Bildkontrolle (meist durch eine Computertomografie, CT) ein Betäubungsmittel (Lokalanästhetikum) entlang des Schamnerven. Dieser Vorgang heißt Pudendusblockade. Bewirkt die Betäubung eine Besserung der Symptome, bestätigt das in der Regel die Diagnose. Dieser Pudendusblock ist auch eine übliche Methode bei der Geburtshilfe.
Messung der Nervenleitgeschwindigkeit *)
Durch eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) lassen sich Schädigungen des Nervus pudendus nachweisen, die oft eine Pudendusneuralgie bewirken: Bei der Elektroneurografie (ENG) klebt der Arzt Elektroden auf die Hautbereiche, die durch den Nervus pudendus innerviert sind. Durch Strom reizt man den Nerv. Die Geschwindigkeit, mit der der Nerv die Information weiterleitet, lässt sich messen. Bei einer Pudendusneuralgie ist die Nervenleitgeschwindigkeit verändert.
Ausschluss anderer Krankheiten
Die Diagnosestellung der Pudendusneuralgie ist häufig schwierig und dauert oft einige Monate mit verschiedenen Untersuchungen und eventuell Fachärzten. Grund ist, dass mehrere Krankheiten ein ähnliches Beschwerdebild auslösen. Diese müssen zuerst ausgeschlossen werden.
Solche Krankheiten sind zum Beispiel:
- Hautentzündungen
- Diabetes mellitus
- Tumoren der Nerven und des Rückenmarks (Neurinom, Ependymom)
- Psychologische Erkrankungen
- Nervenschäden durch Strahlentherapie
Krankheitsverlauf und Prognose
Eine Prognose bezüglich der Pudendusneuralgie abzugeben ist schwierig, weil es viele verschiedene Ursachen gibt. Wichtig ist, die Schmerzen einer Pudendusneuralgie möglichst frühzeitig zu behandeln, damit sie nicht chronisch werden. Die Krankheit mindert für viele Patienten durch die chronischen Schmerzen oft die Lebensqualität.
Laut Studien sind nach einer den Nerv entlastenden Operation rund 71 Prozent der Patienten nach zwölf Monaten beschwerdefrei.
*) E.B.: Ich habe keinen Neurologen gefunden, der die „Nervenleidgeschwindigkeit“ NLG messen kann.
Quelle: siehe oben.